
Mag. Gregor Mandlz, L.L.M
Abteilungsleiter „Innovation medizinischer Versorgung und Arzneimittel“, Dachverband der Sozialversicherungen
Was die Gesetzgebung zu sagen hat.
Beschreibungen des österreichischen Gesundheitswesens beginnen in der Regel mit den Adjektiven „fragmentiert“ und „komplex“. Ein Blick in die Bundesverfassung zu den Grundlagen der allgemeinen Kompetenzverteilung der Art 10 ff B-VG lässt den Leser noch das Wort „föderal“ hinzufügen. Föderale Zuständigkeiten bzw darauf errichtete Strukturen prägen das Gesundheitswesen. Der intramurale Sektor bzw die sogenannten „Heil- und Pflegeanstalten“ sind in der Grundsatzgesetzgebung Kompetenz des Bundes, in der Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung Sache der Länder.
Im extramuralen Sektor besteht Gesetzgebungskompetenz des Bundes, während zur Erfüllung der Aufgaben größtenteils die Struktur der selbstverwalteten Sozialversicherung gewählt wurde. Die Finanzierung erfolgt durch Pflichtbeiträge der Sozialversicherung und aus Steuereinnahmen, wobei die Rechtsträger der Krankenanstalten und der Sozialversicherung im Rahmen der jeweiligen Budgets ihre Aufgaben erfüllen müssen bzw die sogenannte Abgangsdeckung zu tragen haben. Die größte Ausgabenposition der Sozialversicherung - noch vor der „Ärztlichen Hilfe“ und „Medikamente (des extramuralen Bereichs)“ - ist zur Finanzierung der intramuralen „Anstaltspflege“ vorgesehen. Zur Gestaltung des Zusammenwirkens der verschiedenen Zuständigkeiten und Finanzierungsströme bedient man sich eines weiteren verfassungsrechtlichen Instruments – der 15a Vereinbarung.
Einblicke in die Strukturen.
Die Strukturen im Gesundheitswesen spiegeln sich naturgemäß auch im Medikamentenwesen wider. Der extramurale Bereich schuf eine auf der europäischen „Transparenzlichtlinie“ basierenden Positivliste - den Erstattungskodex. Im Erstattungskodex werden Medikamente für die Abgabe auf Rechnung eines Sozialversicherungsträger im extramuralen Bereich gelistet. Dem geht ein formelles bundesweit einheitliches Verwaltungsverfahren beim Dachverband der Sozialversicherungsträger durch Antragstellung auf Aufnahme eines Medikaments in den Erstattungskodex voraus. Nach Verschreibung durch die niedergelassene Ärzt:in wird der Patient:in das Medikament in der öffentlichen Apotheke oder bei der hausapothekenführenden Ärzt:in expediert. Dem gegenüber kauft der intramurale Bereich Medikamente als Träger der Krankenanstalten des jeweiligen Landes über die Anstaltsapotheke - allenfalls gebündelt über Einkaufgemeinschaften - ein und unterliegt den Regelungen des Vergaberechts. In der Krankenanstalt kommt es zur direkten Anwendung der Medikamente an den Patient:innen, welche sich zur Pflege in der Krankenanstalt befinden; eine Abgabe in den extramuralen Bereich ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Die Regelung folgt dem Grundgedanken, welcher auch in der Art 15a Vereinbarung festgelegt ist, dass mit der Zahlung des Betrages für „Anstaltspflege“ durch die Sozialversicherung alle intramuralen Leistungen an die Patient:innen abgegolten sind. Durch die Abgrenzungen der Budgets kommt es zu einem Spannungsfeld sowohl zwischen den intra- und extramuralen Sektoren als auch zwischen den Trägern der Krankenanstalten, z.B. wenn die Versorgung der Patient:innen nicht klar dem intra- oder extramuralen Sektor zuzuordnen ist, oder bei einer rein intramuralen Versorgung in einem Bundesland (mangels hoher Fallzahlen) kein Expertisezentrum zu dieser Erkrankung besteht.
Zur Überwindung bedient man sich des Instruments der Art 15a Vereinbarung bzw des darauf basierenden Zielsteuerungssystems. Diesbezügliche Maßnahmen adressieren gerade Nahtstellenthematiken, wie die Beachtung des Erstattungskodex beim sogenannten Entlassungsbrief, effizienter Einsatz sowie gemeinsamer Einkauf von Medikamenten, best point of service in der kurativen Versorgung, Transparenz der Medikamentenausgaben, jeweils entsandte Verteter:innen der Sozialversicherung bzw der Bundesländer in die § 19a KaKuG Arzneimittelkommissionen bzw in die Heilmittel-Evaluierungs-Kommission.
Gerade bei hochpreisigen, spezialisierten Medikamenten, die für seltene Erkrankungen zugelassen sind und bei denen Ersteinstellung und Therapieführung intramural erfolgt, die medikamentöse Applikation aber auch extramural durch eine sogenannte „Heimtherapie“ gegeben werden darf, werden über die oben genannten Maßnahmen hinaus Verträge zwischen dem Sozialversicherungs- und dem Krankenanstaltenträger geschlossen, welche die Versorgung der Patient:innen und die Finanzierung zwischen den Sektoren regelt. Vorab finden Preisverhandlungen mit dem pharmazeutischen Unternehmen statt. Hieraus hat sich ein Prozess entwickelt; der MEGEF-Prozess - Medikamente zur Gemeinsamen Finanzierung.
Der Ausblick.
Die aktuelle Zielsteuerungsperiode sieht in den beiden Art 15a Vereinbarungen über die „Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens“ bzw „Zielsteuerung Gesundheit“ und im nachfolgenden Vereinbarungsumsetzungsgesetz 2024 – VUG 2024 weitere Instrumente vor, um das Zusammenwirken der Sektoren und Träger im Medikamentenbereich zu verbessern.
Das BMSGPK hat ein Bewertungsboard zur Empfehlung hinsichtlich des Einsatzes ausgewählter hochpreisiger und spezialisierter Medikamente im intramuralen Bereich oder an der Nahtstelle zwischen extra- und intramuralen Bereich eingerichtet. Der Wirkungsbereich für das Bewertungsboard umfasst Medikamente mit gemeinsamer klinischer Bewertung (JCA) gemäß HTA-VO oder welche durch Horizon Scanning Aktivitäten mittels der internationalen Horizon Scanning Initiative (IHSI) oder durch aktive Einmeldung durch die Kostenträger dieser Medikamente identifiziert wurden. Diesbezüglich ist eine Empfehlung hinsichtlich des medizinisch-therapeutischen Nutzens in Zusammenschau mit der Wirtschaftlichkeit, der Anwendung und allfälliger Begleitmaßnahmen (zB Register) zu treffen. Abschließend werden Preisverhandlungen mit dem pharmazeutischen Unternehmen von einem Verhandlungsteam aus Vertreter:innen der Sozialversicherung und der Länder geführt. Zur Unterstützung eines bundeseinheitlichen Einsatzes der intramuralen Medikamente sind in der Art 15a Vereinbarung für überregionale Vorhaben zusätzliche Finanzmittel mit der Option auf Erhöhung durch Beschluss der Bundes-Zielsteuerungskommission festgelegt.
Ein Überschreiten der Sektoren bzw ein Zusammenwirken ist über das VUG 2024 nun auch im Apothekengesetz normiert, welches neben der Abgabe an Einrichtungen stationärer Pflege und Betreuung auch die Abgabe an Personen zulässt, deren Behandlung im Zusammenhang mit der Anstalt steht, sofern die Medikamente von einem sektorenübergreifenden Versorgungs- und/oder Finanzierungsmodell für seltene Erkrankungen erfasst sind.
Das Resümee.
Es bleibt kompliziert, fragmentiert und föderal im Gesundheitswesen, wie im Medikamentenbereich. Den bestehenden Instrumenten zur Überwindung struktureller Hindernisse wurden weitere hinzugefügt. Die Sektoren sind sich ihrer Verantwortung und des Umstandes bewusst, dass bestimmten Herausforderungen nur gemeinsam zu begegnen ist. Ob intendierte Erwartungen oder diskutierte Befürchtungen zu den neuen Instrumenten eintreten werden, wird das Erreichen des angestrebten Ziels zeigen, die nachhaltige, bundeseinheitliche, sektorenübergreifende Versorgung der Patient:innen.