
Leif Moll,
Vizepräsident, Forum der forschenden pharmazeutischen Industrie in Österreich (FOPI)
Jeder von uns möchte möglichst lange gesund leben. Doch trotz eines stark ausgebauten und kostenintensiven Gesundheitssystems liegt Österreich auf diesem Gebiet gegenüber anderen europäischen Ländern zurück: Frauen erwarten hierzulande durchschnittlich 59,3 gesunde Lebensjahre, Männer kommen auf 58,2 Jahre. Das ist im Schnitt rund 10 Jahre weniger als im Spitzenreiter-Land Schweden.
Als forschende Pharmaindustrie verstehen wir das als Auftrag, Patient:innen mit neuen, möglicherweise lebensverändernden Therapien zu unterstützen und in immer kürzeren Zyklen Innovationen auf den Markt zu bringen. Dieses Commitment bildet sich auch in „hard facts“ ab.
Über 400 innovative Arzneimittel.
Der Healthcare-Bereich investiert sehr stark in Forschung & Entwicklung und damit in unsere gemeinsame Zukunft: Eine F&E-Quote von 12,9 Prozent vom Umsatz machen ihn zum forschungsintensivsten aller Technologiesektoren – deutlich vor der IT, der Auto- oder der Luftfahrtindustrie. Wenn man sich jedoch die großen, innovativen Pharmaunternehmen betrachtet, liegt die Quote noch deutlich höher – hier sind Werte um oder über 20 Prozent F&E-Aufwand vom Umsatz keine Seltenheit. Allein die europäische Pharmaindustrie steckt pro Jahr rund 50 Mrd. Euro in die Forschung & Entwicklung innovativer Arzneimittel.
Das ermöglicht, dass 2023 insgesamt 36 Arzneimittel mit einem komplett neuen Wirkstoff in Österreich zugelassen werden konnten. Über die letzten zehn Jahre betrachtet, kamen über 400 innovative Pharmazeutika auf den Markt.
Zusätzlich befinden sich viele Medikamentenentwicklungen in der Pipeline. Allein in der Onkologie sind derzeit weltweit mehr als 2.000 Produkte in einer klinischen Phase der Erforschung.
Klinische Forschung bringt hohen Benefit für Menschen und Gesundheitssystem.
Davon profitieren Patient:innen sowie das österreichische Gesundheitssystem bereits in der Studienphase. Denn die Beteiligung an klinischen Studien ermöglicht Patient:innen den Zugang zu neuesten Entwicklungen und gewährleistet eine engmaschige Betreuung. Weiters sind klinische Studien ein inhaltlicher Anreiz für Top-Ärzt:innen. Sie tragen zur Ausbildung junger Mediziner:innen bei, da damit die Befassung mit neuen innovativen Substanzen im Zentrum steht. Die klinische Forschung belebt die informellen Netzwerke innerhalb der Community. Und nicht zuletzt bringt sie dem Gesundheitssystem nachgewiesenermaßen Einsparungen, da die Medikamente von den forschenden Unternehmen finanziert werden. Laut einer Untersuchung des IPF Institut für Pharmaökonomische Forschung werden 100,53 Mio. Euro an Behandlungskosten jährlich durch industriegesponserte klinische Prüfungen finanziert.
Hohes Investment und geringe Erfolgsquote.
So vielversprechend und Hoffnung spendend neue Medikamente für die Betroffenen sind, so groß ist aber auch die Herausforderung auf Seiten der Pharmaindustrie. Die Entwicklung eines innovativen Medikaments kostet rund 2,4 Mrd. Euro und dauert über 10 Jahre. Dazu kommt eine extrem geringe Erfolgsquote. Die Mehrzahl der Projekte muss vorzeitig beendet werden. Von 5.000 bis 10.000 Substanzen kommen im Durchschnitt nur neun in ersten Studien mit Menschen zur Erprobung, und nur eine erreicht tatsächlich später den Markt.
Sorgsame Nutzung von Daten.
Entscheidend kann vor diesem Hintergrund eine forcierte, zielgerichtete und gut abgesicherte Nutzung von Gesundheitsdaten sein: Denn Big Data und somit auch digitale Datenräume sind die größte Chance für den medizinischen Fortschritt. Auf europäischer Ebene will die Kommission den optimalen Rahmen dafür mit dem European Health Data Space (EDHS) schaffen. In Österreich soll das Austrian Micro Data Center die Basis bilden, um unter Einhaltung höchster Qualitäts-, Sicherheits- und Datenschutzstandards Mikrodaten und Verwaltungs- bzw. Registerdaten für die Forschung zu nutzen. Dies könnte – gemeinsam mit klinischen Studien – die Erfolgsquote sowohl in der Forschung als auch in der Versorgung massiv verbessern.
Fünf Voraussetzungen für Innovation.
Um Innovationen auch in Zukunft und womöglich noch schneller für die Patient:innen verfügbar zu machen, braucht es aber jedenfalls die richtigen Rahmenbedingungen. Konkret lässt sich das an fünf Punkten festmachen:
- Digitalisierung: Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen bringen uns der personalisierten und leistbaren Medizin in riesigen Schritten näher. Bei Krebserkrankungen beispielsweise ist die anfallende Datenmenge oft gewaltig: Ob Gewebeproben, Tumormarker im Blut, genetische Informationen – alle Daten müssen kombiniert und richtig gedeutet werden. Künstliche Intelligenz kann hier ein wesentlicher Schlüssel für eine personalisierte Medizin sein.
- Patentschutz: Der Patentschutz ist eine wesentliche Voraussetzung, um Innovationen im Gesundheitsbereich voranzutreiben. Von der EU geplante Veränderungen beim Unterlagenschutz erschweren aber dieses Modell, weil die geplante Verkürzung der Schutzfristen es noch schwieriger macht, die enorm hohen Entwicklungskosten zurückzuverdienen.
- Commitment: Der Forschungsstandort Österreich sollte – im Gleichschritt mit anderen europäischen Ländern – nachhaltig gestärkt und abgesichert werden. Denn wo Forschung passiert, ist nachweislich die Versorgung der Patient:innen besser. Deshalb muss es das Ziel sein, von den politischen Entscheidungsträger:innen ein ähnliches Zeichen des Commitments zu bekommen, wie es die deutsche Bundesregierung Ende letztes Jahres mit der „Deutschen Pharmastrategie“ gesetzt hat. Darin wurden konkrete Handlungskonzepte festgemacht und klinische Forschung forciert.
- Preisgestaltung: Den hohen Kosten und dem außerordentlichen Risiko müssen faire Preise für innovative Arzneimittel gegenüberstehen, die auch die Einsparungen in anderen Sektoren des Gesundheitssektors berücksichtigen. Lösungen, die für alle tragbar sind, können nur im Dialog erarbeitet werden.
- Zugang: Innovationen sind für Patient:innen nur dann von Wert, wenn sie auch so schnell wie möglich zugänglich sind. Deshalb tragen Pharmaindustrie und Politik gemeinsam dafür Verantwortung, diesen Zugang zu beschleunigen. Außerdem ist im Spitalsbereich darauf zu achten, dass durch neue Instrumente oder Prozesse wie etwa vom Bewertungsboard der bislang gute Zugang zu Innovationen nicht erschwert oder behindert wird.
Wirksamkeit vor Schnelligkeit.
Bei allen Bestrebungen, die Innovationszyklen kürzer zu machen, darf aber eines nicht vergessen werden: Das Innovationstempo kann und sollte nicht um jeden Preis gesteigert werden. Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit müssen im Vordergrund bleiben. Zudem stehen die Ärzt:innen vor der Herausforderungen, mit dem enormen Informationszuwachs und der Flut an Therapieansätzen umzugehen und diese in den Klinikalltag zu integrieren.
Deshalb gilt: Nur wenn die Balance bei dieser Vielzahl an Faktoren gewahrt bleibt, können kürzere Innovationszyklen für Patient:innen eine Chance bedeuten und letztlich einen echten Benefit bringen.