Martina Hagspiel,
Frontfrau Kurvenkratzer GmbH & Herausgeberin Kurvenkratzer Magazin
© Caro Strasnik

Die Einbindung von Patient:innen hat viele Vorteile für Politik und Wirtschaft. Warum Österreich diesbezüglich noch einen weiten Weg zurücklegen muss, lesen Sie hier.

Patient:in: meinungsloses, devotes Wesen. Spielball der eigenen Erkrankung. Schüchtern, will nicht zu viel Information. Schluckt lieber die bittere Pille der fehlenden Handlungskompetenz. Klingt dramatisch? Ist es auch.

Glücklicherweise sind Patient:innen oft nicht mehr die uninformierten Wesen von einst. Wir sind aktiv geworden, wollen mitreden, verstehen, mitentscheiden, Verantwortung über unseren Körper tragen. Auch das klingt fremd? Ist es zu Beginn auch, denn „Patient:in sein“ muss erst gelernt werden.

Base-Camp Mündigkeit

Mündig zu sein bedeutet nicht nur, Dr. Google zu befragen und auf eine halbwegs gute Antwort zu hoffen. Google weiß zwar viel, aber die Suchmaschine spuckt nur aus, was sie gefüttert bekam. Ein Medizinstudium gehört da nicht dazu. Um aus der Faktenflut die valide Information zu filtern, braucht es schon einiges an Kompetenz. Und diese gilt es, für Patient:innen bald nach Diagnose zu erlangen. Für manche geht die Reise aber weiter.
 

Von Patient:in zu Patient Advocate

Patient:innen haben in Österreich nach wie vor kein echtes Mitspracherecht. Das soll sich ändern – hier kommen die Patient Advocates ins Spiel.

Wer Patient Advocacy übersetzt, wird fehlgeleitet. Es geht nicht um Anwaltschaft, sondern um qualifizierte Patientenstimmen. Patient Advocacy ist eine internationale Bezeichnung für die patientengetriebene Interessenvertretung für die Belange der Patient:innen. Patient Advocates sind selbst direkt betroffen und bringen also Erfahrung aus der Praxis mit. Sie machen die Interessen und Lebensrealitäten von Patient:innen vor gesundheitspolitischen und medizinischen Gremien sichtbar. Sie fordern die frühzeitige Patientenbeteiligung ein und fördern das öffentliche Verständnis für Krankheiten. Sie treiben die Forschung voran, verbessern die Qualität der Versorgung oder beschäftigen sich mit legislativen und regulatorischen Fragen.

Einbindung? Bitte warten!

Noch befinden wir uns in Österreich ganz am Anfang. Häufig wird nicht zwischen Laienpatient:in und qualifizierter Patientenstimme unterschieden – und im Zweifelsfall gegen Einbindung gestimmt. Die ist auch gesetzlich (noch) nicht festgeschrieben. So muss jedes forschende Unternehmen, jede gesundheitspolitische Runde und jedes Panel selbst entscheiden, ob Patient:innen eingebunden werden – oder nicht. Über allem schwebt der Geist von „das haben wir immer schon so gemacht“.

Was wir jetzt brauchen: systemrelevante Personen, die Einbindung von Patient:innen auf allen Ebenen aktiv fordern und fördern. Nur so kann der nötige Wandel passieren. Irgendwann wird man zurückblicken und sich fragen: Wie konnten wir das so lange ignorieren?
Martina Hagspiel – Herausgeberin Kurvenkratzer Magazin, Patient Advocate, Vorsitzende InfluCancer

Weiterführende Links:

Podcastfolge zu Mündigkeit, Patienten-Einbindung und Patient Advocacy:
Claas Röhl und Jan Geißler sind echte Patient Advocates, also Patientenvertreter. Im gemeinsamen Gespräch erklären sie, was dies bedeutet und weshalb Eigeninitiative ausgesprochen wichtig ist.
https://audio.podigee-cdn.net/424015-m-3cececa23a99f1ef20301e8c626335c8.mp3?source=feed

Tipp und Lesestoff: Das Kurvenkratzer Magazin beleuchtet das Thema Patient Advocacy von den unterschiedlichsten Seiten, will die aktuellen Herausforderungen aufdecken, internationale Vorbilder heranziehen und so Bewusstsein für die Möglichkeit einer stärkeren Einbindung von Patient:innen im Gesundheitssystem schaffen: https://www.kurvenkratzer.com/tag/advocacy/

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